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Diagnose Autismus was nun?

MOREFAMILY / Gesundheit

Vielen Menschen ist diese neurologische Entwicklungsstörung zwar ein Begriff, doch was passiert nach der Diagnose? Betroffene Eltern fühlen sich oft allein gelassen.

Brainhero
25.05.2023

Wie gehen die Eltern von Kindern mit Autismus mit dieser Diagnose um, zu der es oft nach Monaten und scheinbar unendlich vielen Arztterminen kommt? Die Emotionen reichen von Ohnmacht über die Bestätigung eines lang vermuteten Verdachts, Verzweiflung bis hin zu Wut. Doch eine Tatsache verbindet alle Eltern: die lange und steinige Odyssee einer Suche nach der bestmöglichen Therapiemöglichkeit oder überhaupt nach einem Therapieplatz und das innige Bedürfnis, den Kindern die besten Chancen für ein weitestgehend selbstbestimmtes Leben zu bieten.
Die Ursachen für die Entstehung von Autismus sind noch längst nichtm zur Gänze erforscht. Die Ausprägungen sind breit gefächert und die Verhaltensweisen bzw. Beeinträchtigungen sehr unterschiedlich. Trotz der unterschiedlichen Grade einer Autismus-Spektrum-Störung sind sich Experten nach wie vor einig, dass eine Früherkennung mit fachärztlicher Diagnose und einem zeitnahen Therapieplatz und vor allem die Förderung zu Hause durch die Eltern maßgeblich für die weitere Entwicklung des Kindes sind. Leider sieht die Realität etwas anders aus, denn Kinder warten oft zwei bis drei Jahre auf entsprechende Verhaltenstherapien, wenn endlich die Zusage kommt, dann sind selbst diese wenigen Einheiten mit sehr viel Aufwand verbunden und oftmals nicht gut in den Alltag integrierbar.

Brainhero, die erste Neurofeedbacktherapie für zu Hause


Mit der Entwicklung der ersten mobilen CE zertifizierten Neurofeedback Therapie nach MDR (Medizinprodukteverordnung) für Kinder mit Autismus ab sechs Jahren haben nun endlich auch betroffene Eltern die Möglichkeit zu helfen. Die Entwicklung von Brainhero startete vor sechs Jahren auf Basis
bestehender Studien, der Unterstützung wissenschaftlicher Berater und in Zusammenarbeit mit Förderstellen und wurde von Christof Götz entwickelt. Dank einer Hard- und Software, bestehend aus der Trainings- App und einem mobilen EEG, das mittels Bluetooth mit einem Tablet verbunden werden kann, können Kinder und Jugendliche im Alter von 6–18 Jahren nun auch zu Hause eine Neurofeedbacktherapie erhalten. Gesteuert wird das Training von den Anwendern mit ihrer Gehirnaktivität, ganz ohne Mouse oder andere Tools.

Wie funktioniert die Therapie?


Bei Brainhero handelt es sich um eine 20-stündige Neurofeedback Therapie für zu Hause (240 Einheiten), bei welcher das Kind bzw. der Jugendliche und seine Familie von Beginn bis zur Beendigung des Programms betreut werden. Den Auftakt bildet ein ausführliches Beratungsgespräch, gefolgt von der Bestellung und dem Vertraut-Machen mit dem EEG und der APP. Um die Kosten für das Training und die Gerätschaft möglichst niedrig zu halten, wird das portable EEG für die Therapiedauer von ca. sechs Monaten gemietet und anschließend wieder an das Team von Brainhero retourniert. Nicht zuletzt können hier Eltern gemeinsame Zeit mit ihren Kindern verbringen, einen aktiven Part übernehmen und so zu den positiven Effekten der Therapie beitragen.

Christof Götz, Vater einer autistischen Tochter und Gründer von Brainhero, im Gespräch:

moreFAMILY: Wann und wie hast du bei deinem Kind eine verändertem Entwicklung bemerkt und wie war dann die weitere Vorgehensweise?

Christof Götz: Uns war schon sehr früh klar, dass die Entwicklung unserer Tochter anders verläuft – die Diagnose Autismus hatten wir dann als sie 4 ½ war. Der Weg dorthin hat aber Monate gedauert und war emotional sehr belastend. Die Frage, die wir uns nach dem Diagnosegespräch gestellt haben, lautete: ‚Was jetzt?‘ Das Angebot an Therapieplätzen war erschreckend gering und geschulte Pädagogen an Kindergärten rar gesät. Als uns eine Stunde Therapie pro Woche zugesagt wurde, waren wir schon glücklich. Das Gefühl, als Eltern alleingelassen zu werden, hat uns die erste Zeit permanent begleitet. Welche Therapien wurden euch empfohlen? Gibt es da sozusagen eine „Standard-Therapie“ oder ist das – aufgrund der verschiedenen Autismus-Formen – eher sehr individuell?

Christof Götz: Kindern unter sechs Jahren wird grundsätzlich Ergotherapie empfohlen, das schult die Motorik und ist sozusagen „Standard“ nach der Diagnose Autismus. Ergotherapie hatte meine Tochter auch, dann eine Verhaltenstherapie. Wenn es genug Therapeuten gäbe, würde es natürlich Sinn machen, eine intensivere Verhaltenstherapie mit mehreren Stunden pro Woche in Anspruch zu nehmen. So können bestimmte Dinge trainiert werden, der Alltag erleichtert oder schulische Herausforderungen gemeistert
werden – je nachdem wo die Herausforderung liegt.
Standard ist das aber alles nicht. Verhaltenstherapie wird zwar empfohlen, aber wer zahlt sie? Das VKKJ ist ein Therapiezentrum, das es geschafft hat, dass die Kosten für die Therapie übernommen werden. Die Autistenhilfe wird teilweise unterstützt. Wie kann man als Elternteil sein autistisches Kind bestmöglich unterstützen?

Christof Götz: Die Erwartungshaltung „Ich muss NUR einen Therapeuten für mein Kind suchen“ ist eine falsche. Man muss die Kinder als Eltern anders erziehen. Tagesabläufe genau planen, Regeln erstellen, dabei Ereignisse in der Schule, im Kindergarten und in der Freizeit integrieren. Denn das „Problem“ mit dem Gehirn eines Autisten ist das Unbekannte. Es beschäftigt sich dann die ganze Zeit damit und so haben Autisten keinen Freiraum mehr, weiter zu denken oder etwas Neues zu lernen. Wenn man es also hinbekommt, diese Tagesstrukturen zu schaffen, dann gibt man dem Gehirn wenig Futter, in dieser Dauerschleife zu sein. Und damit kann das Kind viel besser lernen. Das ist eigentlich das Allerwichtigste, womit sich Eltern beschäftigen sollten. Wenn du keine Tagesstruktur hast, brauchst du gar keine Therapien starten. Es löst einfach schon viel an Problemen und das Kind kann sich besser entwickeln. Brainhero kann dann zum Beispiel in so eine Struktur gut eingebaut werden. Das Thema Neurofeedback hat dich ja sehr begeistert. Was kann man sich darunter vorstellen? Wie wirkt oder funktioniert diese Art der Therapie?

Christof Götz: Kinder lernen durch spiegeln. Autisten können das aber nicht. Brainhero ist ein Medizinprodukt (zertifiziert nach MDR) und hilft Kindern mit Autismus ihr Nachahmungsverhalten und die soziale Interaktion zu verbessern. Meine Tochter hat während der Brainhero-Therapie verbesserte Spiegeleigenschaften gezeigt u. a. selbstständige Unterstützung im Haushalt durch Nachahmung, Aufschnappen und Anwendung fremder Sprachen (ist ihre besondere Gabe), aber auch bessere Regulierung von Stress und Wut sowie das Bilden komplexerer Sätze. Was man generell mit Neurofeedback noch erzielen kann, ist das bessere Regulieren von Emotionen, das leichtere Herunterfahren von Wutausbrüchen (die sogenannten Meltdowns), Entspannung und erholsamer Schlaf. Mit Brainhero habt ihr ja das Neurofeedback von der Praxis nach Hause verlegt. Was sind da die Vorteile bzw. die Herausforderungen?

Christof Götz: Ich empfinde es als Vorteil, dass man es öfters macht – also mehrere kleine Einheiten, als eine große pro Woche. Aber man muss sich die Zeit einplanen und Raum dafür schaffen, das ist Organisations- und Willenssache. Manche schaffen es allerdings nicht, weil das Kind so ablehnend reagiert. Ich hatte damals einen schriftlichen Vertrag mit meiner Tochter, der gelautet hat: Wenn du das halbe Jahr durchhältst, gehen wir zum Prater – nur wir beide – du darfst entscheiden wo wir hingehen, was wir machen. Es ist also wichtig, dem Kind Ziele zu setzen. Meine Tochter hat mittlerweile schon ein gutes Verständnis dafür. Woher kam das Know-how für die Umsetzung von Brainhero? Welchen Beruf hast du vor deinem erfolgreichen Start-up ausgeübt?

Christof Götz: Ich bin Wirtschaftsinformatiker und seit 2004 als Berater für Projektmanagement für komplexe IT-Projekte selbstständig. Aber mein komplexestes Projekt habe ich mir jetzt selbst geschaffen. Dabei ist Neurofeedback nicht das Komplizierteste, sondern daraus ein Medizinprodukt zu machen. Begonnen hat es so, dass ich mit meiner Tochter bei einer Studie der medizinischen Universität war und dadurch mit Neurofeedback in Berührung gekommen bin. Außerdem hatte ich einen Kontakt zur technischen Universität, wo ich dann mit einem Assistenzprofessor, zwei Studenten und einem Open Source EEG den ersten Prototypen von Brainhero gebastelt habe. Dann haben wir immer weiter geforscht und experimentiert und nun kann ich sagen, dass wir an der „Zahnspange“ fürs Gehirn arbeiten – aber bis daraus dann ein Medizinprodukt wird, ist noch ein langer Weg. Dazu haben wir eine große EU-Förderung (den EIC Accelerator) gewonnen und planen eine der größten Studien im Bereich Neurofeedback und Autismus dieser Art. Es gibt also noch viel zu tun, um betroffene Kinder und Eltern zu unterstützen.

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