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Familiencamping macht fröhlich

MOREFAMILY / Porträt

… auch wenn es nicht immer lustig ist.

20.06.2024

 

Die Deutsche Sandra Schulz hat nie von einem Wohnmobil geträumt. Doch auf einmal stand es vor der Tür: das Monster. Zusammen gehen sie auf Tour, die Anti-Camperin, der Camper und ihre kleine Tochter mit Downsyndrom.

Das Gefährt wird zum Gefährten, bringt sie in die Berge und ans Meer und lehrt sie bei jeder Fahrt, welche bezaubernden Widrigkeiten das Campingleben mit sich bringt. Beim Wohnmobilfahren entstehen gute Geschichten, das weiß Sandra Schulz, SPIEGEL-Bestseller-Autorin, ehemalige Anti-Camperin und Mama einer 9-jährigen Tochter mit Downsyndrom, nur zu gut. Und deshalb hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Logbuch Einträge in Geschichten zu verwandeln und diese zu teilen. In ihrem Buch „Monstertouren“ beschreibt sie die schönsten Momente des Familiencampings – und die schonungslos ehrlichen. Beim Lesen des Buches fühlt man, dass Familiencamping fröhlich macht. Auch wenn es nicht immer lustig ist. 

Aber alles auf Anfang 

Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Mancher Anfang ist richtig schwer. Einen solchen erlebte Familie Schulz, als ihre Tochter zur Welt kam – mit 745 Gramm, Trisomie 21, Hydrozephalus und einem komplexen Herzfehler. „Die Welt schien geschrumpft, alle Leichtigkeit dahin.“ Nach vier Monaten Krankenhaus, zwei Operationen am Herzen, zwei am Kopf, begann ein neues Leben. Heute sind es Freiheit und Zufall, Glück und Leichtigkeit, die wieder Einzug gehalten haben im Leben der dreiköpfigen Familie. „Und oft sind wir beim Campen, wenn genau dieses Lebensgefühl sich einstellt.“ Über dieses Lebensgefühl – und wie es überhaupt dazu kam – erzählt Sandra Schulz in unserem Porträt- Interview.
 

Wie seid ihr eigentlich zum Campen gekommen? 

Sie beschreiben sich ja im Buch als Anti-Camperin. Mein Mann war schon Camper, als wir uns kennenlernten. Ich konnte damit wenig anfangen, dachte nur: Warum, zum Teufel, soll ich mit dreißig anderen Menschen gleichzeitig duschen, Kabine an Kabine? Und mich wie eine Sardine in eine Büchse quetschen, freiwillig? Bis heute kann ich auf öffentliche Sanitärgebäude gut verzichten, habe aber gelernt, damit zu leben. Außerdem haben wir ja unser Mini-Badezimmer an Bord, was manchmal meine Rettung ist, wenn ich absolut keine Lust habe, fremde Menschen bei der Körperhygiene zu erleben. Das Verrückte ist: Es ist trotzdem die beste Form für uns, Urlaub zu machen, und das, obwohl wir weder einen Probeurlaub noch eine Probenacht in einem Wohnmobil verbracht haben! Der Mensch liebt umso mehr, was er sich selbst eingebrockt hat!
 

Was bedeutet Familiencamping für euch bzw. eure Familie?


Zusammen campen zu gehen, ist für uns zu einem wichtigen Teil des Familienlebens geworden, vielleicht sogar zum wichtigsten Teil überhaupt. Denn wenn wir zusammen mit unserem Wohnmobil, dem sogenannten „Monster“, unterwegs sind, erleben wir die Zeit besonders intensiv, schaffen gemeinsame Erinnerungen. Es ist eine Zeit, die wir trotz aller bezaubernden Widrigkeiten, die so ein Campingurlaub mit sich bringen kann, oft als leicht und unbeschwert erleben – zumindest, wenn die Widrigkeit hinter einem liegt. Es ist aber auch eine Möglichkeit, mit unserer Tochter mit Downsyndrom „inklusiv“ zu leben. Auf Campingplätzen ergeben sich die Begegnungen von selbst. Man findet immer jemanden, mit dem man
Ballspielen kann. Am besten noch vor dem Zähneputzen. Im Buch gibt es Einblicke in den Campingalltag mit Ihrer Tochter mit Downsyndrom. Viele Eltern finden Ihren Schritt wahrscheinlich mutig, die heimatliche „Komfortzone“ zu verlassen und aufzubrechen, um Abenteuer zu erleben. 

 

Wie empfinden Sie das? Ist es mutig oder eher eine Wohltat, dem Alltag zu entfliehen?


Für mich gibt es verschiedene Arten von Touren. Es gibt die kurzen Wochenend-Touren, wo es vor allem ums Wegkommen geht. Weg von der Erledigungsliste zu Hause, von der wartenden Waschmaschine und den nächsten Anträgen und Formularen für Behörden. Leider verbringt man als Eltern eines Kindes mit Behinderung viel Zeit mit Bürokratie, was viele Nerven kostet. Nach einer anstrengenden Woche ist es eine Wohltat, einfach den Sorgen und Problemen davonzurollen. Beim Campen ist der Kontrast zum Alltag sofort da: Man lebt auf engem Raum, ist beschäftigt mit Alltäglichem wie spülen, den Müll wegbringen. Alles ist überschaubar, die Zeit fl ießt vor sich hin, der Schweiß manchmal auch, kaum hat man es zum Badesee geschaff t, ist schon wieder Zeit zum Grillen. Man lebt mit seinen Nachbarn in einem gemeinsamen öff entlichen Rhythmus, sieht, wann die andere Familie frühstückt, wünscht sich gegenseitig einen schönen Morgen und kriecht nach einem Tag in der Natur in seine Betthöhle. Es gibt nichts Schöneres, als abends das Klappfenster weit zu öffnen und mit einer Meeresbrise oder guter Waldluft in der Nase einzuschlafen. Bei den großen Touren hingegen geht es um das Hinkommen, das Erreichen von Sehnsuchtsorten, die man sonst nicht erreicht hätte. Denn natürlich hat das Reisen mit Kindern seine eigenen Anstrengungen. Das Wohnmobil ist für unsere Tochter mit Downsyndrom ideal, weil es eine Art „fahrendes Zuhause“ ist: Alles ist vertraut und geborgen, und trotzdem sehen wir tolle Orte. Ich zehre im Alltag noch lange von diesen Bildern und intensiven Momenten irgendwo in den Alpen oder auf einer Klippe. Der Familienurlaub im „Womo“, wie unsere Tochter sagt, funktioniert einfach – zumindest für uns. Und dieses Funktionieren macht für mich die kleine Freiheit aus.

Camping ist oft auch eine Probe für die Beziehung, im wahrsten Sinne rückt man als Paar zusammen. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
 

Ich finde, Familiencamping ist so etwas wie Ehe im Quadrat. Man nimmt die Eigenheiten des anderen noch mehr wahr als sonst, und die Situation verschärft sich durch die Enge, die Hitze und die versperrten Fluchtwege. Es gibt eben nur diesen einen Raum, wo jede:r ihren:seinen Platz finden muss. Trotzdem haben wir im Wohnmobil oft die schönsten Momente. Und wenn ich so darüber nachdenke, höre ich die meisten Liebeserklärungen eigentlich, wenn wir gemeinsam im Cockpit sitzen. Ich glaube, dann freuen wir uns einfach, dass wir uns haben. Ihr weigert euch ja, Touren zu planen – trotz Kind im „sommerferienpflichtigen“ Alter. 

Wie schafft ihr die Gratwanderung zwischen Treibenlassen und hoffnungsvoller Suche nach einem Stellplatz?
 

Wir lieben einfach das Entdecken. Und Entdecken kann man nur etwas, wenn man nicht alles im Voraus bucht und festlegt. Natürlich geht das auch mal schief. Dann steht man nicht in der ersten Reihe mit Meerblick, sondern hinten bei den Tauben. Oft genug aber fügt es sich auf seltsame Weise alles, und man trifft auf nette Menschen an der Rezeption, die doch noch einen „Not-Platz“ für eine Nacht freigeben, und wenn man erst einmal auf dem Campingplatz ist, kann man sich „vorarbeiten“, also verlängern, und umziehen zu den schönen Plätzen. Oder man landet ganz woanders, an besonderen Orten, wo man sonst nicht hingekommen wäre. Für uns gehört zum Campen auch das Gefühl, Überraschungen zuzulassen. Trotzdem machen wir sogenannte „Insel-Buchungen“, das heißt, wenn wir uns circa vier Wochen vor den Sommerferien entschieden haben, in welches Land wir fahren, reservieren wir irgendwo vier Tage am Stück am Meer. Und wenn es irgendwo schön ist, dann bleiben wir auch mal fünf Tage hintereinander dort, wie neulich auf einem schönen Campingplatz in Südfrankreich. Denn natürlich ergeben sich erst mit der Zeit die Kontakte auf dem Campingplatz. Und das ist besonders für unsere Tochter wichtig. Ihre dringendste Frage lautet immer: „Bleiben, Mama?“ Unsere Touren sind ein Kompromiss zwischen ihrem Wunsch zu bleiben und unserem Wunsch, unterwegs zu sein und zu schauen, wie es nach der nächsten Kurve aussieht.
 

Wie viele Kilometer Campingerfahrung habt ihr als Familie schon? Was waren eure schönsten Kilometer, eure schwierigsten, eure ängstlichsten, eure gemütlichsten und eure wildesten?
 

Wir sind mittlerweile gut 66 000 Kilometer gefahren. Darunter sind viele Autobahnkilometer, die einerseits zu den langweiligsten zählen, andererseits haben lange Autofahrten auch Vorteile: Wenn unsere Tochter einschläft, hat man endlich mal Zeit, sich über alles Mögliche zu unterhalten, was zu Hause zu kurz kommt. Die schönsten Kilometer sind eigentlich die ersten, kurz nach dem Losfahren, wenn man den Schwung des Aufbruchs spürt, die Vorfreude, was der Tag, was der nächste Stopp bringt. Die schwierigsten sind die, wenn abends alles später wird als gedacht, weil Stau war, weil einen das Navi in die Irre geführt hat, weil die angefahrenen Stellplätze schon voll waren und das – berechtigte – Gequengel auf der Rückbank losgeht. Am gemütlichsten ist es im Wohnmobil beim Wintercampen, finde ich, wenn sich Flocke um Flocke aufs Fahrzeug legt, das Panoramafenster weiß wird, die Eiszapfen von der Schnauze wachsen und drinnen alles warm ist, ein leckeres Essen in der Pfanne brutzelt. Richtig Angst hatte ich bisher nur einmal im Womo. Da sind wir eine Pass-Straße gefahren in der Schweiz, und oben war plötzlich alles neblig. Dazu die Schilder: „Gefährliche Strecke“. Mit Ausrufezeichen. Und hinter dem Schild: der Abgrund. Selbstverständlich werdet ihr eure Lieblingsplätze nicht verraten. 

Aber welche Tour können Sie besonders empfehlen? Und wohin wird es bei Ihnen als Nächstes gehen?
 

Für uns gilt der Satz „Am Ende wartet immer ein Meer“. Sommerferien ganz ohne Salzwasser können wir uns alle nicht vorstellen, dafür planscht die Minicamperin zu gern. Außerdem lernt sie gerade schwimmen und tauchen. Uns zieht es deshalb immer wieder an den Atlantik. Das Wilde und Weite an der Atlantikküste kann man beim Campen besonders gut genießen. Eine unserer Lieblingstouren ging in den äußersten Zipfel der Bretagne, wo es viele herrliche Stellplätze gibt – mit Meerblick. Im Sommer wollen wir vielleicht mal Nordspanien ausprobieren. Trotzdem haben wir auch die wilden Flusstäler lieben gelernt, wo man im flaschengrünen Wasser baden, auf heißen Felsen liegen oder Staudämme bauen kann. Das geht zum Beispiel im Tessin ganz wunderbar. Eine der verrücktesten Straßen, die wir mal gefahren sind, ist die „Passage du Gois“ in Frankreich – die führt über den Meeresgrund und ist nur bei Ebbe befahrbar. Wunderschön ist auch die Schluchtenstraße an der Ardèche. 

Was möchten Sie campenden Familien noch mit auf ihre Wege geben?
 

Gerade am Anfang sollte man nicht zu viele Kilometer machen wollen, sondern lieber kurze Touren planen. Und bei langen Touren schauen, dass man kleine Highlights einbaut: irgendwo Karussell fahren zum Beispiel. Denn wenn die Minicamper:innen die Lust verlieren am Campen, haben die großen Camper:innen auch verloren.

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